100 Jahre Engagement für einen attraktiven Industriestandort.
Unsere Geschichte
Das Jahr 1919 Aufbruch in eine neue Ära
Das Jahr 1919, kurz nach dem Ende des ersten Weltkriegs, bringt tiefgreifende Veränderung mit sich. In diesen bewegten Monaten nimmt die 100-Jährige Geschichte der Industrie-Vereinigung Ihren Anfang.
Der Tag liegt in einer Zeit des Umbruchs, weit weniger beschaulich, als man es von einem Freitag vor dem Pfingstwochenende in Uerdingen am Rhein erwarten könnte. An diesem 6. Juni 1919 beraten hier mehrere industrielle Familienunternehmer über ihre neue Rolle in der bewegten Nachkriegszeit. Um ihre gemeinsamen Interessen in der erst ein halbes Jahr alten Demokratie besser positionieren zu können, beschließen sie, den „Verein der Industriellen Uerdingen e. V.“ ins Leben zu rufen. Als Vorsitzenden wählen sie den Gründer der sehr erfolgreichen Vorläufer-Firma des späteren Weltkonzerns Bayer, den Geheimen Kommerzienrat Dr. Edmund ter Meer, der in den folgenden zwölf Jahren die Geschicke des Industrieverbandes leitet.
Wie schon in diesen frühen Tagen agiert der Verein in der Öffentlichkeit in seiner langen Geschichte eher zurückhaltend, vertritt die gemeinsamen Interessen des traditionsreichen Standorts aber mit nachhaltigem Erfolg – ein volles Jahrhundert lang, durch alle Wechselbäder hindurch. Es ist dem Verein gelungen, dass die in Uerdingen ansässige Industrie im Jubiläumsjahr 2019 immer noch eine herausragende Bedeutung für die niederrheinische Region rund um die Stadt Krefeld behaupten kann. Das belegen allein die eindrucksvollen Eckdaten: Die rund 40 Verbandsmitglieder stehen für einen jährlichen Umsatz von über 1,5 Milliarden Euro und für über 4.500 Arbeitsplätze.
Doch wie gestaltet sich die wirtschaftliche und politische Lage im Juni 1919, was bewegt die Vereinsgründer? Sicherlich gehört zu den Motiven, dass die Fabrikanten der am Rheinufer gelegenen Firmen Freude daran haben, sich regelmäßig zu treffen und auszutauschen, auch unter dem Aspekt, dass man gemeinsam mehr erreichen kann. Davon zeugt das Gemälde einer Herrenrunde im Salon des Uerdinger Casinos, auf dem Edmund ter Meer im Mittelpunkt auf einem Ledersessel thront. Nach dem Krieg kehrt langsam wieder ein Stück Normalität ins private und ins wirtschaftliche Leben am Niederrhein ein. In den Apollo-Lichtspielen ist über Pfingsten unter anderem Olga Desmond in „dem entzückenden Tonfilm ,An der schönen blauen Donau‘“ – so eine Zeitungswerbung – zu sehen, und die Handelskammer zu Crefeld lädt für den 13. Juni zu einer öffentlichen Gesamtsitzung ein, „Tages-Ordnung: Projekt eines Rhein-Maas-Schelde-Kanals“.
Erst sieben Monate ist es her, dass die Katastrophe des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 vorüber ist. Die Krefelder erleben die Schrecken der Front nur gefiltert über Erzählungen und Briefe, doch Engpässe bei Lebensmitteln und Kohlen, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit begleiten die Bevölkerung jahrelang hautnah. Niederlage und Kapitulation, die Revolution, das Ende des feudalistischen Kaiserreichs, die neue Weimarer Republik seit dem 9. November 1918, politisch motivierte Morde, Aufstände mit vielen Toten – all diese aufwühlenden Themen beherrschen das öffentliche Leben auch am linken Niederrhein. An diesem 6. Juni 1919 gibt es keine Ausgabe der Crefelder Zeitung, die eigentlich zweimal täglich erscheint, denn die Drucker streiken eine Woche lang. In der nächsten Ausgabe vom 10. Juni beherrschen Themen wie der Versailler Friedensvertrag und die Idee einer rheinischen Republik, abgespalten vom Rest des Reichs, die Titelseite. „Genehmigt von der Zensur der 4. Zone“ steht ebenfalls auf der Titelseite – Krefeld ist seit Dezember 1918 besetzt. 4.000 belgische Soldaten und Offiziere sind in der Stadt. Die Offiziere residieren im Krefelder Hof, eine 25 Mann starke Wache steht im Rathaus. Geschäfte müssen um 19 Uhr schließen, zwischen 20 und 4 Uhr herrscht Ausgangssperre, Versammlungen sind ebenso verboten wie der Verkauf von Alkohol, der Postverkehr ist eingestellt, und jederzeit können Hausdurchsuchungen durchgeführt werden. Als eindeutiges Signal werden die Uhren eine Stunde zurückgestellt, auf belgische Zeit. Bis 1926 ist Krefeld von belgischen Soldaten besetzt, die bei Bedarf drastische Freiheits- und Geldstrafen durchsetzen.
An diesem 6. Juni 1919 gibt es keine Ausgabe der Crefelder Zeitung, denn die Drucker streiken eine Woche lang. Krefeld ist seit Dezember besetzt, zwischen 20 und 4 Uhr herrscht Ausgangssperre, Zeitungen werden zensiert.
1919
Dennoch normalisiert sich bereits 1919 der Arbeitsmarkt erstaunlich schnell, denn die Wirtschaft läuft wieder an. In diesem bewegten Umfeld ist der „Verein der Industriellen Uerdingen e. V.“ weit mehr als ein zigarrenrauchender Herrenclub, der sich einmal pro Woche im Uerdinger Casino zu einer beschaulichen Runde trifft. Zwar ist der alte Adel mit seinen Privilegien abgeschafft, dafür bringen die Umwälzungen seit Ende 1918 den modernen Sozialstaat mit Koalitionsfreiheit, Achtstundentag, Arbeitslosenversicherung und Betriebsrat-
Strukturen hervor, wie er heute noch existiert – eine neue Herausforderung für die Unternehmerschaft.
Edmund ter Meer im Kreise der Industriellen
Unsere Geschichte
Edmund ter Meer im Kreise der Industriellen
Diese von Beginn an handfeste Lobbyarbeit beschreibt der Historiker Johannes Thomessen: „Nach 1918 begann der Verein der Industriellen, der jetzt als Interessenvertretung der Uerdinger Unternehmerschaft auftrat und offensichtlich als Reaktion auf die politischen und sozialen Umwälzungen ins Leben gerufen worden war, mit den Gewerkschaften Tarifverträge auszuhandeln. Zwischen März 1922 und März 1923 fanden allein im Rathaussaal 25 Versammlungsrunden statt.“ (Weder Samt noch Seide – Aspekte des Arbeiterlebens in Uerdingen 1890–1929, Krefeld, 1992). Der Industriellen-Verein ist in seinen Anfängen also ein klassischer Arbeitgeberverband.
Edmund ter Meer ist 66 Jahre alt, als er den Vorsitz übernimmt. Sein 1877 gegründetes Unternehmen, das bis zum 1. Weltkrieg zu einem der maßgeblichen Werke in der deutschen Chemie aufsteigt, zählt 1914 bereits 1.600 Mitarbeiter. Ter Meer engagiert sich sozial und kümmert sich um den Wohnungsbau für seine Mitarbeiter. In den Kriegsjahren werden im Werk eine Suppenküche und sogar eine Schweinemast eingerichtet. Gleichzeitig wandeln sich in den 1920er Jahren die Strukturen der Chemieindustrie. Um international konkurrenzfähig zu bleiben, tritt das Uerdinger Werk 1916 dem Kartell „Interessengemeinschaft der deutschen Teerfarbenindustrie“ bei, 1925 geht sein Werk in den I.G. Farben auf. Mit diesem Erfahrungsschatz im Hintergrund kümmert sich ter Meer um den Industriestandort Uerdingen und geleitet bis 1931 den „Verein der Industriellen Uerdingen e. V.“ durch die krisenbehafteten 1920er Jahre. Im Wettbewerb der Regionen, unweit des damals übermächtigen Industriezentrums Ruhrgebiet, muss die Industrie am Standort Uerdingen ihre Interessen auch überregional standhaft vertreten, um nicht in provinzieller Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Die Verkehrsader Rhein, bei Krefeld 320 bis 400 m breit, hat bei allen Vorzügen für den Industriestandort den Nachteil, den linken Niederrhein vom Rest Deutschlands abzutrennen. Noch existiert keine Brücke, die Verbindung zwischen Uerdingen und dem gegenüberliegenden Duisburg-Mündelheim wird durch eine Fähre aufrechterhalten. Die nächsten Brücken gibt es in Duisburg und in Düsseldorf – ein klarer Nachteil für den Standort Uerdingen. Keine Frage – die intensive Beschäftigung mit dem Thema „Infrastruktur“ zieht sich wie ein roter Faden durch die 100-jährige Geschichte der Industrie-Vereinigung. 1936 endlich wird die Rheinbrücke eröffnet, kurz vor Kriegsende zerstört, 1950 wiedereröffnet. Heute ist sie von ihrer Kapazität und den Anbindungen her längst wieder unterdimensioniert, und der zeitgemäße Ausbau ist bis in die Gegenwart ein Dauerthema in den öffentlichen Debatten.
Vor dem Niederrhein und seinen tradierten Verbandsstrukturen machen die Nationalsozialisten, seit Januar 1933 an der Macht, keinen Halt. Im Jahr 1935 überführen sie die örtlichen Industrieverbände in die Bezirksgruppen der „Reichsgruppe Industrie“, lösen den Verein auf und löschen den Eintrag im Vereinsregister. Während der Diktatur und den Jahren des Zweiten Weltkriegs ruht der Verband, steht aber bereits
am 16. Februar 1948 wieder – unter der laufenden Nummer zwölf – im Vereinsregister des Amtsgerichts Uerdingen.
Neue Ausrichtung ab 1957. Alle Epochen von 1919 bis 2019 sind von strukturellen Veränderungen gezeichnet. Deshalb gibt sich
der Verein, um mit der Zeit zu gehen, in den Wirtschaftswunderjahren eine neue Struktur und beschließt eine neue Satzung. 16 Mitglieder
sind in der wegweisenden Versammlung am 20. März 1957 im Casino zu Uerdingen vertreten: die Baggerei Rhenania, die Metallwerke Bender, die Maschinenfabrik Büttner-Werke, die Deutsche Rizinus-Oelfabrik Boley & Co., der Weinbrandhersteller Dujardin, die Elektrowerke Rockenbach, die Spedition Balth.
Erlenwein, die Farbenfabriken Bayer, der Düngemittelhersteller Guano-Werke, die Ölfabrik Holtz & Willemsen „Howinol“, die Alfred Holzer GmbH, die Th. Müncker K.G., der Zuckerhersteller Pfeifer & Langen, das Bleiwerk Gebr. Röhr, die Uerdinger Malzkaffee-u. Rollgerste-Fabrik sowie die Vereinigten Uerdinger Oelwerke Alberdingk & Boley. Die neue Ausrichtung des Verbandes ist deutlich an dem neuen, noch heute bestehenden Namen ablesbar: „Industrie-Vereinigung Krefeld-Uerdingen und Rheinhafen e. V.“. Der Verein dehnt sich räumlich aus und bezweckt laut Satzung „die Wahrung und Förderung der Interessen der im Stadtteil Uerdingen, dem Rheinufer, dem Rheinhafen Krefeld-Linn und dem Einzugsgebiet der Hafenbahn gelegenen Industrie.“
In den Wirtschaftswunderjahren gibt sich der Verband eine neue Struktur und beschließt eine neue, zeitgemäße Satzung.
1960er Jahre
Neben der Lobbyarbeit für den Standort konzentriert sich der Verband auf politische und wirtschaftliche Themen, die über die Region hinausgehen, vor allem durch Vorträge und Diskussionsveranstaltungen. Dabei setzt jede Epoche ihre eigenen Akzente. Im März 1960 befasst sich der Dezernent der Stadtwerke, Prof. Dr. Walter Herrmann, in einem Vortrag vor den Mitgliedern der Industrie-Vereinigung „mit der Feststellung, daß die klassischen Energieträger – Kohle und Wasser – in der ganzen Welt in zunehmendem Maße auf Konkurrenz von Oel und Erdgas treffen.“
Im März 1969 kritisiert Heinz Kaminsky, Direktor der Bochumer Sternwarte, vor den Uerdinger Unternehmern Versäumnisse des Industrielands Nordrhein-Westfalen: „Bei uns wird eine Vogel-Strauß-Politik betrieben. Ist es nicht auffallend, daß sich in Nordrhein-Westfalen keine Computer- geschweige denn Elektronik-Firmen angesiedelt haben? Diese Industrien der Zukunft konzentrieren sich im süddeutschen Raum.“ Zum 75-jährigen Jubiläum im Jahr 1994 diskutieren die Mitglieder im Uerdinger Casino lebhaft im Anschluss an einen Vortrag von Dr. Heik Afheldt von der Verlagsgruppe Handelsblatt mit dem Thema „Geht uns die Arbeit aus? Wachstumsschmerzen reifer Volkswirtschaften.“
1960er Jahre
Moderner und diskussionsfreudiger. 15 Jahre später, zum 90. Jubiläum im Jahre 2009, präsentiert sich die Industrie-Vereinigung mit einem neuen Image, „moderner und diskussionsfreudiger, weg vom Bild des Clubs der Zigarrenraucher hin zu einem modernen Verband, der die Interessen seiner Mitglieder deutlich vertritt, ohne dabei die Ellenbogen zu benutzen,“ wie Geschäftsführer Dr. Christian Schmidt in der Westdeutschen Zeitung vom 25. Juni 2009 zitiert wird. Die Themen in diesem Jahr drehen sich um Akzeptanzprobleme der Industrie, Frieden mit den Nachbarn, Feinstaub, Verkehrsanbindungen und die einspurige Drehbrücke. Der Vorsitzende Dr. Stefan Dresely appelliert an Bürger, Politik und Verwaltung:
„Die Entwicklung des Hafens liegt uns doch allen am Herzen – und das schließt Rheinblick, Dujardin und so weiter durchaus ein.“
2019
Unsere Geschichte
Im Jubiläumsjahr 2019,
präsentiert sich die Industrie-Vereinigung Krefeld-Uerdingen und Rheinhafen nach wir vor als „Interessenvertretung
von Unternehmerinnen und Unternehmern im östlichen Raum Krefelds, insbesondere aus den Bereichen Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen.“ Seit ihrer Gründung im Jahre 1919 hat sie sich unverändert zum Ziel gesetzt, die Interessen der Mitgliedsfirmen gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere öffentlichen Stellen, Verbänden und Institutionen gegenüber aufzuzeigen und zu vertreten. Die Interessenvertretung beteiligt sich an der öffentlichen Diskussion und bietet an, das spezielle Knowhow seiner Mitglieder in die Entscheidungsfindung einzubringen. In guter Tradition veranstaltet die Industrie-Vereinigung regelmäßig Vorträge und Diskussionsveranstaltungen – zu regionalpolitischen Fragen der Tagespolitik ebenso wie zu übergreifenden Themen. Anders als in den Jahren vor 1957 setzen sich die Mitglieder im Jahr des 100. Jubiläums nicht nur aus Industrieunternehmen zusammen, sondern auch aus Gewerbeund Dienstleistungsunternehmen.